Herr Sedelmeier, was ist es, das Sie an der Mandorla-Form besonders fasziniert?
RXS: Zum einen ist es die pure Ästhetik und zwar sowohl die der einzelnen Mandorlas als auch die der Allover-Anordnung. Das wird ja geradezu zum modischen Muster mit floraler Anmutung! Zum Anderen ist das Mandorla ja Teil eines Designs, das meist als Boden- bzw Schutzblech etwa auf Baustellen Verwendung findet. Und ich finde: Es hat mehr verdient. Grundsätzlich begeistert es mich, Objekte, Materialien und Gegenstände neu aufzuladen und umzudeuten, indem ich sie ihrer eigentlichen Bestimmung entziehe und so von ihrer reinen Funktionalität befreie.
Wie lief denn der Sprung vom Metall aufs Porzellan?
TW: Ich hatte seit längerem über Produkte nachgedacht, die ein Relief haben könnten. Und für dieses Relief passt Reiners industrielle Herleitung wunderbar, eine Bordüre würde da nicht funktionieren. Bei mir lief sofort ein Film auf meiner inneren Leinwand, bei dem klar wurde: MANDORLA passt zu unseren Kollektionen und steht dennoch nicht in der Konkurrenz zu den vorhandenen Produkten.
RXS: Dieses ‘blöde’ Bodenblech liegt ja in der Realität irgendwo auf dem Boden einer Baustelle. Das ohne Umschweife auf Porzellan zu übertragen funktioniert aber nicht, es braucht einen Zwischenschritt, und das sind in diesem Falle meine Möbel. Zum Beispiel die Liege, bei der ich ja eigentlich das Material nur 30 Zentimeter nach oben geholt habe. Wenn Betrachter sich die Objekte dann ansehen, denken sie: das kenn’ ich doch irgendwoher! Und dann fällt der Groschen.
Den Begriff kennen viele auch aus einem ganz anderen Kontext, der traditionellen Ikonografie.
RXS: Ja, Mandorla ist ein Fachterminus aus der Kunstgeschichte und bezeichnet eine Glorie oder Aura rund um eine ganze Figur. Damit unterscheidet sie sich vom Heiligenschein, der ja nur den Kopf umgibt. Mandorlen werden als sichtbarer Ausdruck der Licht- bzw. Heils- und Schutzkraft einer Figur gedeutet. Was ja lustigerweise wieder zurück zum Schutzblech führt, das die gleiche Funktion hat. Schutz ist ein großes Thema, wir wollen Schutz, aber am Ende des Tages bekommen wir ihn selten, und genau das sagt das Porzellan.
Am Ende geht es hier also um eine Transformationsleistung?
RXS: Ganz genau. Darum, den Kontrast herzustellen zwischen dem schützenden Stahlblech und der Fragilität des Porzellans. Das Einzige, das ich dabei liefern kann, ist der Gedanke, die Idee. Ohne die Kompetenz der Manufaktur wäre die Umsetzung aber überhaupt nicht denkbar, es ist unglaublich schön zu sehen, welcher Entwicklungsprozess und welcher Aufwand in ein Objekt gesteckt wird. Dieses Know-how und dazu die überwältigende Geschichte… Dass eine Firma mit einer solchen Historie einen so zeitgenössischen Ansatz umsetzt, ist großartig.
Sie haben sich für eine zylindrische Grundform entschieden, warum?
TW: Stahl wird klassischerweise gewälzt, daher war die Ausgangsposition für mich klar der Zylinder beziehungsweise anders gesagt: die Röhre. Als eine 1:1-Übersetzung der Herleitung, in der aus einem Material ein Produkt wird. Der Betrachter kann dann selbsterfahrend das Tränenblech assoziieren. Dass wir Biskuitporzellans als Material gewählt haben, betont die Schärfe und Genauigkeit und das taktile Erleben der unglasierten Oberfläche.
Mandorla wird zum einen als permanente neue Kollektion von KPM Berlin lanciert, zum anderen als limitierte Kunst-Edition. Was unterscheidet die Varianten?
RXS: Es ist die Veredelung, die hier (und oft auch in meiner sonstigen Arbeit) durch Oberflächenauftrag stattfindet: metallisches Silber und Gold, teilweise Echtgold, aber auch Neonnuancen in Pink, Orange Gelb…. Je nach Lichteinfall changieren die Farbtöne, die Reflexionen bilden eine strahlende Hülle um das eigentliche Mandorla. Was auf eine gewisse Art dann auch irgendwie: eine ganz besondere Aura kreiert.
Welches Produkt aus der Kollektion gefällt Ihnen denn am besten?
RXS: Mein Lieblingsprodukt ist der Becher, weil bei ihm noch die Haptik dazu kommt. Man nimmt ihn in die Hand und spürt die Struktur – die man sonst ja nur mit Schuhen betritt.
TW: Bei mir wäre es die Vase. Ich finde sie im Kontext formal sehr stimmig. Gerade die kompromisslose Herleitung aus einer konsequenten, geometrischen Industrieform, macht sie zu einer modernen aber zeitlosen Skulptur. Diesen Spannungsbogen vereint sie perfekt.
Die Transformation, Industrie, Kunst und Manufaktur lotet das Überschreiten von Grenzen, des denkbar möglichen auf spannende Art aus. Eine vertraute „Irritation“ von Sehgewohnheiten, hält einen inneren Dialog so lebendig.
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